Antwort auf: Eltern von ÄVPS-Betroffenen: Wie waren Deine?
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claud
Teilnehmer01.03.2021 um 13:55 #10348Hey 🙂
ich finde Deine Frage sehr nachvollziehbar, und kann mir gut vorstellen, dass so etwas für Eltern ganz schwer ist.
Ohne jetzt wirklich viel über Dich zu wissen, denke ich, die Tatsache, dass Du ein Vertrauensverhältnis zu Deiner Tochter hast, und dass sie Dir sagt, Du hast nichts falsch gemacht, sieht für mich so aus, als würde Deine Tochter tatsächlich den Fehler nicht bei Dir sehen. Wobei, Fehler machen alle Eltern (sind ja auch nur Menschen), und manchmal sind es viele Kleinigkeiten die „schief gehen“ und sich summieren ohne dass es jeweils in der Situation aufgefallen wäre, aber kein großes identifizierbares Trauma.Beispiel von mir: ich habe große Probleme, mich im Berufsleben auf Verantwortung und Karriere einzulassen (obwohl ich Gelegenheiten dazu hatte) und führe das u. a. darauf zurück, dass meine Eltern und viele Eltern in meinem Umfeld in der Wendezeit im Osten erst ihre berufliche Identität komplett verloren, und sich dann auch noch kapitalistischen Gauner*innen rumschlagen mussten, die kein Interesse an blühenden Landschaften im Osten, sondern nur in ihren eigenen Geldbeuteln hatten. Meine Eltern sind beide Akademiker (Dipl.-Ingenieure) und mein Vater sogar hoch spezialisiert und Führungskraft (soweit oben wie ohne Parteibuch eben kam), der wäre heute fürstlich bezahlt worden. In der Nachwendezeit sind sie beide trotz top Bildung und Berufserfahrung beruflich untergegangen und haben sich bis zu ihrem Ruhestand nie wieder richtig berappelt. Diese frustrierenden beruflichen Kämpfe, unterbrochen durch gelegentliche Arbeitslosigkeit mit bekloppten Maßnahmen vom Amt, habe ich als Kind natürlich miterlebt, und die Stimmung in der Familie war ziemlich schlecht. Da hat sich bei mir das Gefühl ausgeprägt: Berufserfolg ist etwas unerreichbares, oder ist zumindest nix für Leute „wie uns“. Deshalb habe ich es nie versucht, schiebe meinen Hochschulabschluss vor mir her und bleibe auch mit meinen Nebenjobs weit unter meinen Möglichkeiten.
Das ist zwar nur ein Aspekt meiner ÄVPS, aber ist schon sehr zentral.
Kann ich das jetzt meinen Eltern vorwerfen? Was hätten sie machen sollen? Das Thema verschweigen? Wäre noch schlimmer gewesen. Mich ermutigen, dass ich was auch mir mache? Haben sie immer.Manchmal ist niemand schuld und trotzdem gehen Dinge schief. :-/
Ansonsten würde ich den Anteil meiner Eltern an meiner Störung so beschreiben: Sie haben mir gewisse negative Sichtweisen und eingeschränkte Möglichkeiten vorgelebt. Aber nicht aus Bösartigkeit, sondern weil das ihre Normalität war.
Beide sind sehr lieb und unterstützen mich (vielleicht auch zu sehr? Sodass ich nie selbständig werden muss und immer unsicher bleiben kann?) und führen eine stabile und ich würde denken auch glückliche Ehe. Aber meine Mutter ist halt selbst nicht sehr selbstsicher nach außen. Mein Vater ist zwar selbstsicher und sehr kompetent, aber ich glaube der würde heutzutage als hochsensibel durchgehen, also den stört alles: laute Musik, Gerüche, Besuch im Haus, etc. Also ich hatte eine selbstunsichere Mutter und einen ständig genervten Vater. Also wie gesagt, beide lieb – aber kamen halt schnell an ihre Grenzen. Da habe ich als Kind natürlich vieles auf mich bezogen und mich immer als „falsch“ empfunden.Ich würde das denen aber nicht vorwerfen, denn sie sind ja auch nur Menschen mit einer Geschichte und Gründen, warum sie so sind. Und immerhin haben sie mir ein stabiles und so grundsätzlich auch warmherziges liebevolles Zuhause geboten und ich habe auch sehr viele positive Eigenschaften daraus mitgenommen.