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Behinderung und Schwerbehinderung


Schwerbehinderung und Behindertenausweis in Deutschland

In diesem Beitrag werden verschiedene Begriffe aus dem Bereich Behinderung und Schwerbehinderung beschrieben. Diese Angaben beziehen sich auf die Situation in Deutschland.

Behinderung und Schwerbehinderung

Formal liegt eine Behinderung vor, wenn ein Grad der Behinderung (GdB) amtlich festgestellt wurde. Von einer Schwerbehinderung wird gesprochen, wenn der Grad der Behinderung mindestens 50 beträgt. Viele Nachteilsausgleiche setzen einen Grad der Behinderung von 50 oder höher sowie zumindest ein Merkzeichen voraus.

Ein Schwerbehindertenausweis wird erst bei einem GdB von 50 oder höher ausgestellt. Liegt der GdB unter 50, kann der Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes als Nachweis für die Behinderung dienen. Teilweise werden aber auch ärztliche Atteste oder Messungen von Spezialisten wie Optikern bei Sehbehinderung oder Akustikern bei Schwerhörigen akzeptiert. Nicht alle Anspruchs-Berechtigten haben einen festgestellten Grad der Behinderung. Das kann folgende Gründe haben:

  • Ist weniger als ein GdB von 50 zu erwarten, lohnt sich ein Antrag oft nicht, weil damit kaum Nachteilsausgleiche verbunden sind.
  • Viele chronisch oder psychisch Erkrankte wissen nicht, dass sie einen Ausweis beantragen könnten oder welche Hilfen damit verbunden sind.
  • Oftmals fürchten die Betroffenen, dass eine festgestellte Behinderung die Job-Chancen verschlechtert.
  • Auch der Aufwand für den Antrag auf einen Ausweis wird häufig gescheut.

Zudem gibt es auch psychische Hemmungen, einen Ausweis zu beantragen. Ein Ausweis zeigt schwarz auf weiss, dass jemand behindert ist. Viele Betroffene wollen das vor sich selbst und anderen verbergen.

Generell ist ein behinderter Mensch nicht verpflichtet, eine Behinderung amtlich feststellen zu lassen. Allerdings ist eine amtlich festgestellte Behinderung eine Voraussetzung, um viele Nachteilsausgleiche beanspruchen zu können.

Für einige Nachteilsausgleiche reichen tatsächlich auch ärztliche Atteste aus. Das gilt zum Beispiel für die Nachteilsausgleiche bei Prüfungen an einigen Schulen und Universitäten. In der Regel ist es jedoch mit dem Schwerbehindertenausweis einfacher, solche Nachteilsausgleiche zu beanspruchen.

Um offiziell anerkannt zu werden, muss eine Behinderung mindestens bzw. voraussichtlich mindestens sechs Monate bestehen. Wer sich also ein Bein bricht, gilt nach dieser Logik nicht als behindert, unabhängig davon, wie stark er dadurch eingeschränkt ist.

Der Schwerbehindertenausweis

Der Grad der Behinderung (GdB) soll zeigen, wie stark eine Person durch ihre Behinderung im Alltag eingeschränkt ist. Wer einen Grad von 50 oder höher hat, gilt als schwerbehindert.

Der Grad wird in Zehner-Schritten gemessen, wobei 10 der niedrigste und 100 der höchste Grad ist. Der GdB wird nicht in Prozent gemessen, die Angabe 100 Prozent schwerbehindert ist also falsch. Die Prozentangaben suggerieren eine Absolutheit, die sie aber nicht widerspiegeln. Ein Mensch mit einem GdB von 100 kann durchaus ein selbständiges Leben führen und Vollzeit arbeiten gehen. Ein Mensch mit einem GdB von 50 hingegen kann durchaus erwerbsunfähig sein.

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Bis vor ein paar Jahren hatte der Schwerbehindertenausweis das Format einer Postkarte. Mittlerweile wird er nur noch im Scheckkartenformat ausgegeben. Mehrfach, wenn auch nicht sehr intensiv, wurde die Umbenennung des Schwerbehindertenausweises diskutiert: Die FDP-Bundestagsfraktion wollte den Ausweis 2018 in Teilhabeausweis umbenennen.

Amtliche Bewertung der Behinderungen

Die Regeln zur Bewertung des Behinderungsgrades und zu den Merkzeichen stehen in der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Sie wird regelmässig aktualisiert, so dass sich die Einstufungen der Behinderungen im Laufe der Zeit ändern können. Aktuell (Mitte 2019) ist beabsichtigt, neue Therapie-Möglichkeiten, Medikamente und Hilfsmittel stärker zu berücksichtigen, so dass die GdBs für einige Behinderungen anders ausfallen sollen.

Zu beachten ist, dass eine bestimmte Behinderung oder Erkrankung nicht mit einem bestimmten GdB einhergeht. Das wäre nicht sinnvoll, da zum Beispiel Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Diabetes in ihrer Ausprägung und den Folgen sehr unterschiedlich sind. Stattdessen wird geprüft, wie stark eine Behinderung im Alltag einschränkt. Grundlage für die Einschätzung sind vor allem Berichte der Ärzte.

Der Grad der Behinderung kann befristet werden. Das hängt sowohl von der Behinderung als auch vom Bundesland ab. Bei vielen Erkrankungen wie etwa Krebs oder bei frühen Stadien der Multiplen Sklerose ist eine Befristung üblich, da man davon ausgeht, dass der gesundheitliche Status sich in die eine oder andere Richtung ändert.

Ein Schwerbehindertenausweis kann aber auch unbefristet sein. Das heisst prinzipiell, dass der Behinderungs-Status nicht regelmässig überprüft wird. Es gibt allerdings keinen Bestandschutz. Auch ein Schwerbehinderter mit einem unbefristeten Ausweis kann jederzeit überprüft bzw. herabgestuft werden.

Zudem können Behinderungen auch dann anders bewertet werden, wenn sie als therapierbar gelten. Epileptiker etwa, die durch Medikamente relativ anfallsfrei sind werden anders eingestuft als solche, deren Anfälle nicht kontrollierbar sind.

Beantragung und Änderung

Ein Grad der Behinderung wird bei den Versorgungsämtern beantragt. Die Zuständigkeiten sind dabei in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich.

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Tritt eine neue Behinderung ein oder verändert sich eine bestehende Behinderung, kann ein Änderungsantrag gestellt werden. Im Zuge eines solchen Antrags wird der Gesamtzustand des Antragsstellers neu bewertet. Es kann also sein, dass trotz einer Verschlechterung oder weiterer Behinderungen der GdB sich nur leicht erhöht, stabil bleibt oder sinkt. Letzteres kann vor allem eintreten, wenn die Bewertungsmassstäbe in der VersMedV geändert wurden.

Zudem wird eine Behinderung auch im Hinblick auf das Alter betrachtet. Eine Gehbehinderung wird etwa bei einer 30-Jährigen anders bewertet als bei einer 70-jährigen Person.

Mittlerweile dauern die Antragsverfahren teils sehr lange. Das liegt an mehreren Faktoren:

  • Die Zahl der Anträge steigt stetig, unter anderem durch den demografischen Wandel und die wachsende Zahl von Personen, die sich ihrer möglichen Ansprüche bewusst sind.
  • Zudem legen Antragssteller auch häufig dann Widerspruch gegen eine Ablehnung ein, wenn die Erfolgschancen objektiv gering sind. Dies hat auch mit der häufigen Praxis der Ämter zu tun, den geringstmöglichen GdB zu gewähren.
  • Das Einreichen unvollständiger Anträge sowie eine geringe Bereitschaft der zuständigen Ärzte zur Zusammenarbeit mit den Ämtern. Die Ärzte legen die berichte häufig nicht zeitnah vor.
  • Wie viele andere Behörden sind auch die Versorgungsämter personell unterbesetzt.
  • Die Komplexität der relevanten Richtlinien nimmt zu.
  • Zudem kann auch die Bewertung schwieriger werden, wenn mehrere Einschränkungen vorliegen. Die Einstufung chronischer und psychischer Erkrankungen ist besonders schwierig.

Bei einem Umzug zwischen einzelnen Bundesländern muss der Ausweis neu beantragt werden. Zwar sind die Standards bundeseinheitlich, das konkrete Antragswesen ist aber Ländersache. Auch das Verhalten ist in einzelnen Bundesländern unterschiedlich. In Hessen wird etwa bei der gleichen Behinderung ein Ausweis befristet, der in NRW unbefristet wäre. Die Details der festgestellten Behinderungen werden im Feststellungsbescheid mitgeteilt. Liegen mehrere Behinderungen vor, werden den einzelnen Behinderungen GdBs zugeteilt. Zu beachten ist, dass die einzelnen GdBs nicht addiert werden. Es soll der Gesamtzustand einer Person bewertet werden.

Nachteilsausgleiche

Es gibt eine ganze Reihe an Nachteilsausgleichen, die bundesweit gewährt werden. Sie sind nicht unbedingt an einen Schwerbehindertenausweis gebunden. Dazu gehören steuerliche Erleichterungen, Hilfen am Arbeitsplatz und andere Vergünstigungen.

Aktuell gibt es kein allgemeines Behindertengeld, welches die Mehraufwände behinderter Menschen abfängt. Eine Ausnahme sind blinde Menschen. Sie erhalten ein einkommensunabhängiges Blindengeld, welches in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich hoch ist. Einige Bundesländer bieten ein allerdings sehr geringes Sehbehindertengeld. Wenige Bundesländer bieten ein Taubblindengeld für Betroffene in unterschiedlicher Höhe.

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Andere Behindertengruppen müssen ihre Mehrbedarfe häufig aus eigener Tasche zahlen bzw. im Einzelnen bei unterschiedlichen Behörden beantragen. Derzeit gibt es nur einen Nachteilsausgleich, der EU-weit gilt: Der blaue Behindertenparkausweis. Ansonsten werden Behinderungen und Nachteilsausgleiche in den einzelnen EU-Ländern unterschiedlich gewährt. Ein EU-Behindertenausweis ist in Planung. Er soll das Reisen erleichtern, indem die Nachteilsausgleiche bei der Mobilität EU-weit harmonisiert werden.

Wer einen GdB von 30 oder 40 hat, kann sich auf Antrag bei der Arbeitsagentur mit einem Schwerbehinderten gleichstellen lassen. Die Gleichstellung soll dabei helfen, einen Arbeitsplatz zu finden oder einen eventuell bedrohten Arbeitsplatz zu sichern. Die Gleichstellung gilt nur im Bereich Arbeit und bringt ausserhalb des beruflichen Kontextes keine Vorteile. Auf der Website schwerbehindertenausweis.de kann nach Nachteilsausgleichen für bestimmte Merkzeichen und GdB gesucht werden.

Akteure der Behindertenhilfe und Selbsthilfe

Im Behindertenwesen haben sich viele Hilfsstrukturen etabliert. In der Regel geht es um Hilfe im Bereich Wohnen, Arbeit oder Alltagshilfe.

Kostenträger und Leistungserbringer

Die verschiedenen Parteien werden als Träger bezeichnet. Es werden zwei Träger unterschieden: Kostenträger und Träger der Behindertenhilfe. Letztere werden auch als Leistungserbringer bezeichnet. Die häufigsten Träger sind:

  • Kranken- und Pflegekassen
  • Rentenversicherung,
  • Integrationsämter und Arbeitsagenturen
  • Kommunale und überörtliche Träger der Sozialhilfe

Träger können auch die Unfallversicherung sowie Berufsgenossenschaften sein. Wichtig sind ausserdem die Träger der Kinder- und Jugendhilfe, wenn es etwa um schulische Angelegenheiten geht.

Träger der Behindertenhilfe

Ein Grossteil der Behinderten-Einrichtungen wird von den Verbänden der Wohlfahrt betrieben. Dazu gehören die Caritas, die Diakonie, das Deutsche Rote Kreuz, der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Arbeiter-Samariter-Bund oder die Johanniter. Daneben ist noch die Lebenshilfe zu nennen, die sich schwerpunktmässig um Menschen mit geistiger Behinderung kümmert.

Neben diesen grossen, bundesweit tätigen Organisationen gibt es noch Träger, die lokal oder regional aktiv sind. Beispiele dafür sind die Regenswagner-Stiftung oder die Donnersmarkstiftung.

Auch wenn viele Wohlfahrtsverbände oft weitere Angebote etwa in der Kinder- und Jugendhilfe oder in der Seniorenbetreuung unterhalten, zählen sie zu den wichtigen Akteuren in der Behindertenbewegung. Insbesondere die Caritas, die Diakonie, die Arbeiterwohlfahrt, das Rote Kreuz, der Paritätische sowie die Lebenshilfe haben schon durch ihre bundesweite Präsenz grossen Einfluss.

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