Arbeitsstörungen führen oft dazu, dass ein Ausbildungs-, Arbeitsphasen oder Fortbildungsziel nicht erreicht oder gar nicht erst angestrebt wird. Nach Beendigung der Ausbildung werden Karriereziele nicht erreicht, oder der Betreffende setzt sich ein Ziel unterhalb seiner Möglichkeiten. Dies betrifft auch die Arbeitsfähigkeit von Betroffenen einer Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung.
Eine Persönlichkeitsstörung macht auch vor dem Arbeitsplatz nicht halt und führt zu vielfältigen Problemen.
ÄVPS und Arbeitsfähigkeit
Viele ÄVPS-Betroffene fallen bereits während der Schulzeit oder Ausbildung und auch im Berufsleben durch häufige Absenzen auf. Das dies ein Arbeitsverhältnis belastet und bei vielen Arbeitgebern auf wenig Verständnis stösst, versteht sich von selbst. Nur zu leicht können Aussenstehende den Eindruck gewinnen, der Betroffene versuche sich aus reiner Bequemlichkeit zu drücken. Die Ängstlich-vermeidende / Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung ist eine psychische Erkrankung die in der allgemeinen Bevölkerung kaum bekannt ist und leider immer noch nichts worüber Betroffene, gerade gegenüber Arbeitgebern, nicht offen reden können. Daher sehen sich ÄVPS-Betroffene immer wieder mit dem Vorurteil konfrontiert, dass sie nur einfach nicht (arbeiten) wollen.
Sogar die, die es besser wissen müssten – Psychiater, Psychologen, Ärzte – wagen oft nicht klar und deutlich festzustellen, dass ÄVPS diesem Vermeidungsverhalten machtlos gegenüber stehen. Der Betroffene nimmt seine Angst nicht immer prägnant wahr, dass einzige was er spürt ist ein unkontrollierbares „Nicht zur Arbeit gehen wollen“. Das Eingeständnis dieser Arbeitsunfähigkeit würde für eine Berentung sprechen und dies ist in einer Zeit in der Invaliden- und andere Sozialversicherungen massiv unter Spardruck stehen, ein denkbar unpopulärer Standpunkt.
Ein subjektiver Blick auf ÄVPS und Arbeitswelt
Da ich selbst Betroffene bin und daher persönlich erfahren habe, wie massiv ÄVPS sich im Arbeitsleben negativ auswirken kann und wie hoch die Kosten der Erkrankung gerade in diesem Lebensbereich sein könnnen, habe ich mir im Laufe der Jahre viele Gedanken dazu gemacht. Ich habe dazu in der Fachliteratur einige Informationen gefunden und versuche in diesem Beitrag, eine Zusammenfassung meiner bisher gewonnen Einsichten.
Positive Arbeitserfahrungen
ÄVPS können gut arbeiten, wenn es ihnen gelungen ist, die entsprechenden Kompetenzen zu erwerben. Sie sind oft überdurchschnittlich gut in ihrem Aufgabengebiet, da sie versuchen, Fehler die sie kritisierbar machen würden, weitestgehend zu vermeiden.
Sie sind meist gute Zweite und gelten als demokratisch und kooperativ. Sie haben eine starke Tendenz zur Harmonisierung, die sich positiv darin äussern kann, dass sie gute Vermittler sind; negativ darin, dass Konflikte, die geklärt und ausgetragen werden müssten, von ihnen »unter den Teppich gekehrt« werden.
Die Unternehmenskultur so wie das Vorhandensein steuernder Objekte, wie beispielsweise therapeutische Begleitung des Betroffenen, sind wichtige Faktoren wenn es darum geht, ob ÄVPS auf Konflikte am Arbeitsplatz angemessen reagieren. In einem leistungs- und konkurrenzorientierten Unternehmen ohne offene und wohlwollende Kommunikationskultur gehen ÄVPS schnell unter. Sie reagieren mit Rückzug und Vermeidung und sind nur zu oft aufgrund der gehäuften Absenzen bald ihren Job los.
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Diese Erfahrung schwächt ihr eh schon miserables Selbstvertrauen weiter und verschlimmert so ihre Symptome. Leisten sie wenig, bestätigt das ihr eigenes Bild von sich und vermindert ihr Selbstvertrauen. Sind keine positiven Arbeitserfahrungen möglich, kommt es irgendwann zur Komplettverweigerung. Dies sind dann Individuen, die trotz hervorragender Qualifikationen und vorhandenem Arbeitswillen langfristig ohne Anstellung und Einkommen bleiben und in die Sozialhilfe abrutschen.
Das Dilemma
Vermeidungsverhalten wird durch voreilige Krankschreibungen unterstützt und ist daher keine gute Lösung. Der bessere Weg wäre, ÄVPS-Betroffene dabei zu unterstützen, dass sie ihre Jobs behalten können und möglichst positive Arbeitserfahrungen machen.
Dies gilt jedoch nicht, wenn Betroffene in ihrem Arbeitsverhältnis Faktoren wie Mobbing oder ähnlich giftigen Beschäftigungsverhältnissen ausgesetzt sind. Dort geht der Schutz ihres angeschlagenen Selbstwertgefühls vor. Leider bringt es das Störungsbild auch mit sich, dass Betroffene leichte Opfer für Ausbeutung sind. Sie wehren sich oft nicht in missbräuchlichen Beschäftigungsverhältnissen und werden daher gerne und leicht ausgenutzt.
Ob eine Krankschreibung angebracht ist, lässt sich so gesehen von einer Drittperson wie Ärzten oder Therapeuten kaum feststellen. Hier könnte ein Coaching direkt am Arbeitsplatz weiterhelfen, allerdings steht diese Möglichkeit in der Realität praktisch nie zu Verfügung. Der Arbeitgeber müsste miteinbezogen werden, da jedoch keine professionellen Berater zu Verfügung stehen, bzw. diese vom Arbeitgeber engagiert und bezahlt werden müssten, bleiben ÄVPS-Betroffene zu oft allein und ohne Unterstützung.
Depression als Ausweg?
Viele ÄVPS-Betroffene sprechen im Zusammenhang mit ihrer „Arbeitshemmung“ von Depressionen, womit Laien ja gern jede Emotion und jedes Befinden bezeichnen, dass sie sich nicht erklären können. Sie machen die Erfahrung, dass eine depressive Erkrankung mehr Akzeptanz hervorruft, sei es beim Arzt oder beim Arbeitgeber.
Der Initiativemangel von ÄVPS ist von dem von Depressiven nur schwer zu unterscheiden, wenn man nicht gründlich genug nachfragt. ÄvPS spüren durchaus den Impuls etwas zu tun: Sie wollen etwas tun, aber der Impuls macht ihnen Angst und wird deshalb oft nicht ausgeführt.
Es ist zudem auch für den Betroffenen selbst angenehmer, seine Arbeitsunfähigkeit mit einer Depression zu begründen, als sich einzugestehen, dass der flapsige Spruch „Wenn ich einen Drang verspüre zu arbeiten, setze ich mich ganz schnell in eine Ecke und warte, bis er wieder vorüber ist“ ziemlich genau auf sie zutrifft.
Persönliches Fazit
In Zusammenhang mit der Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung ist die Arbeitsfähigkeit nicht nur ein Problem, sondern auch die Lösung. Eine sinnvolle, den eigenen Kompetenzen angemessene und erfolgreiche Arbeit ist gerade für ÄVPS-Betroffene ein entscheidener Faktor für den weiteren Verlauf ihrer Störung. Weder langfristige Krankschreibung noch Berentung sind zufriedenstellend für Betroffene. Nach der nur kurz anhaltenden Erleichterung folgt meist tiefe Resignation und Depression. ÄVPS-Betroffene wünschen sich ein erfolgreiches Berufsleben mindestens so sehr, wie sie sich nach sozialen Kontakten sehnen.
Leider leben wir in einer Zeit, in der man bei der Suche eines passenden Arbeitgebers nur in seltenen Ausnahmefällen die Wahl hat. Auf besondere Bedürfnisse kann kaum Rücksicht genommen werden, erst recht bei einer Störung, die so gänzlich unbekannt ist, wie die Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung. Hier besteht viel Handlungsbedarf, aber dafür bräuchten die Betroffenen eine starke Lobby, die gezielt ihre Interessen vertritt.
Es ist frustrierend, dass Menschen vom Arbeitsleben ausgeschlossen werden, die in einem angepassten Beschäftigungsumfeld ausgezeichnete Leistungen erbringen könnten. Steht ein Gehbehinderter mit seinem Rollstuhl vor der Treppe zum Bürogebäude seines Arbeitgebers, braucht er nur mit dem Finger zu schnippen und schon stehen hunderte von Unterstützern bereit, die lautstark eine Rollstuhlrampe fordern. Steht ein ÄVPS-Betroffener vor einem, durch seine Störung verursachten, arbeitsrelevanten Hindernis, passiert meist etwas ganz anderes: Als erstes wird ihm unterstellt, es fehle ihm an Motivation und das er nämlich schon könne, aber halt nicht genug wolle. Man lässt ihn vor der Treppe stehen und anstatt eine Rampe zu bauen.
Es entzieht sich meinem Verständnis, warum es offenbar von staatlicher Seite her einfacher ist, ÄVPS-Betroffene aufs Abstellgleis zu stellen und sie mit existenzsichernden Leistungen abzuspeisen anstatt konkrete Massnahmen auszuarbeiten und umzusetzen, die es den Betroffenen ermöglichen würden, berufstätig zu bleiben.
genau so ist es! ich bin gerade an meinem dritten versuch, doch noch einen beruf zu lernen. meine ersten beiden lehrstellen waren schwierig.
ich war leidenschaftlich dabei, hatte mit der arbeit nie probleme … und dann nerven die mich, weil ich zu wenig freundlich grüsse oder weil ich meine pausen lieber allein vrebringe. als hätte das etwas zu tun, mit der arbeit.
ich will ja etwas lernen. ich liebe lernen … aber ich kapier halt nicht, warum genau die tatsache ob ich am morgen alle grüsse zusammenhängen soll damit, ob ich für den beruf geeignet bin
Hallo genau das Problem habe ich auch. Immer dieser Gruppenzwang, furchtbar. Als müsste man mit den Kollegen Freundschaften schließen um seinen Job zu behalten. Die Vorgesetzten akzeptieren eigentlich die Einzelgänger Art, aber das Team nicht. Die wollen unbedingt zusammen hocken und jede Pause zusammen essen gehen. Leute die alleine nicht klar kommen. Mein Problem ist hauptsächlich das ich einen falschen Beruf in der Gastronomie gelernt habe und bei der Umschulung dann keine andere Wahl als Bürokauffrau hatte. Und in den Büros mit immer den gleichen Leuten 8 Stunden jeden Tag halte ich es einfach nicht aus. Das ist mir einfach zu viel und Einzelbüros gibt’s keine mehr, jedenfalls finde ich keine. Nun sitz ich erstmal zu Hause und überlege wie es weiter geht. Ins Büro will ich nicht mehr aber was hab ich noch für Möglichkeiten.. Home Office für Buchhaltung oder Sekretariat gibt’s auch nicht nur für Steuerberater, das kann ich nicht. Ich würde so gerne in einem Einzelbüro arbeiten.
stimmt total … genau das sind auch meine erfahrungen! niemand glaubt mir, wenn ich sage, dass ich will, aber nicht so
irgendwie versteht niemand „nicht so“ … niemand versteht, dass das problem nicht die arbeit an und für sich ist … ich will ja arbeiten … aber eben nicht SO
Es ist schon toll, auf welche Seiten man im Internet kommt, wenn man gleiche Begriffe in immer neu geordneter Reihenfolge in die Suchleiste eintippt! :) Aber hier sehe ich mich verstanden… – Denn ich bin schon weit über 50Jahre und hatte schon mehr als 20 verschieden Arbeitsplätze… als Facharbeiter und Leiharbeiter … und mein häufigster Grund war die Unpünktlichkeit! Zur Zeit bin ich in Behandlung wegen Persönlichkeitsstörung … wie es weitergeht, weiß ich noch nicht…
Besser spät als nie, hoffe ich mal. Klingt als ob wärst Du, so wie ich, einfach irgendwie inkompatibel mit der Arbeitswelt. In der aktuellen Gesellschaft ist oft kein Platz für Menschen mit komplexen und komplizierten Persönlichkeiten. Das kann schmerzhaft sein. Wünsche Dir von Herzen viel Kraft und alles Gute!
Deckt sich mit meiner Erfahrung. Meine letzte Stelle habe ich verloren, weil ich einfach zu viele Fehlzeiten hatte. Ich war offen gesprochen anfangs enorm erleichtert. Dass ich mich nun nicht mehr jeden Tag ins Geschäft zwingen muss, obwohl ich mich am liebsten irgendwo verkriechen muss, war herrlich. Leider hielt das Glück nicht lange an. Nach weniger als zwei Monaten Arbeitslosigkeit ging’s mir richtig dreckig. Ich habe mich geschämt, fühlte mich wertlos und als Versagerin. Ich habe mich nur noch zuhause eingeigelt. Zum Glück hat meine Spitex das realisiert und dafür gesorgt, dass ich so schnell wie möglich an einer Arbeitsmarktmassnahme teilnehmen konnte. Damit war die Angst zwar wieder ein Thema, aber immerhin hatte ich nicht mehr den Wunsch mein wertloses Leben zu beenden. Arbeit ist verdammt wichtig!
Sauer aufstoßen lassen hat mich hier der Verweis auf Rollstuhlfahrer und deren vermeintlichen „Erfolg“. Diese sind im Berufsleben nach wie vor oft benachteiligt und haben es sicher nicht leichter als andere diskriminierte Gruppen. Das, was mit dem Absatz ausgedrückt werden sollte, hätte man auch mit einer anderen Formulierung erreichen können.
Trotzdem danke für den Artikel. Da fühlen sich sicher viele (mich eingeschlossen) abgeholt und ein Stück weit verstanden. Es tut mir sehr leid, dass du solche Erfahrungen machen musstest.
Du hast den Verweis auf die Rollstuhlfahrer irgendwie falsch verstanden. Fakt ist: Körperbehinderten wird generell nicht unterstellt, dass sie „nur nicht wollen“ und sich halt nur ein bisschen mehr Mühe geben müssten. Natürlich sind auch sie von vielen Vorurteilen betroffen und haben es oft nicht leicht.